Der Spiegel Nr.36 / 28 August 1972 - Das totale Fernsehen

Original Inhaltsbeschreibung:

In diesem Heft:

• Bonn vor einem neuen Skandal: Prominente Politiker der Regierungskoalition unterhielten jahrelang enge Beziehungen zu einem Erzfeind der Sozialliberalen: Am Montag letzter Woche gestand FDP-Mann Wolfram Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministe­rium, seinem Vorgesetzten Genscher, er habe zwei Jahre lang monatlich 3000 Mark Beraterhonorar von "Quick"-Verleger Bauer kassiert. Dorn zum SPIEGEL: Dieses Geld sei "einfach so gekommen". Doch Dorn war's nicht allein. Auch SPD Mann Joachlrn RaHert, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, enthüllte sich seinem Minister. Raffert zum SPIEGEL: "Der Vertrag ist abgelaufen."
• Parteien werben um katholische Wähler: In Bonn hat der Kampf um den letzten Katholiken begonnen. SPD und FDP wollen das bislang zuverlässigste Wählerreservoir der CDU/CSU anzapfen. Die Sozialdemokraten mühen sich um Links­katholiken und das Wohlverhalten der Bischöfe; die Freidemokraten setzen auf kritische Reformkatholiken. Rechte Gläubige arbeiten an einem Dreistufenplan zur Rettung der Christen für die Union.
• Kassiber-Verdacht gegen Schily voreilig: Die Affäre um den Ensslin-Kassiber gerät zur Justizaffäre. Hohe Krimi­nalisten und Juristen stützten ihren Verdacht gegen den Berliner An­walt Otto Schily auf Angaben, die jetzt widerlegt werden. Die Sicher­heitsvorkehrungen in der Essener Haftanstalt waren keineswegs "per­fekt", wie NRW-Justizminister Neuberger behauptet hatte, und wurden mehrfach mißachtet. Vom SPIEGEL auf die Verstöße seiner Beamten hingewiesen, zeigte sich Neuberger letzte Woche "schockiert".
• Hippies im Drogensumpf Kabuls: Neun Engländer mußten von der britischen Botschaft im ersten Halb­jahr 1972 aus der afghanischen Hauptstadt Kabul heimgeschickt werden - als Leichen. Vier Franzo­sen wurden von einem religiösen Fa­natiker abgeschlachtet, Tausende von Hippies vegetieren im Drogen­sumpf. Kabul, erste Sehnsuchts­station für jährlich 70000 Touristen auf dem Weg von Europa nach Indien-und Nepal, ist nicht mehr das friedliche Paradies von einst.
• Krieg gegen Tupamaros: Uruguay, früher die "Schweiz Südamerikas", entwickelt sich zu einer Diktatur nach brasilianischem Muster: Mit Massenverhaftungen, Foltern und scharfen Sondergesetzen bekämpft Präsident Bordaberry die Tuparnaro-Guerrilleros, Die einstmals traditionell unpolitische Armee hat heute mehr Einfluß als je - übernimmt sie bald vollends die Macht?
• Schach-Computer - besser als Bobby?: Während in Reykjavik Bobby Fischer um den Weltmeister­titel kämpfte, spielten in Boston acht Schach­ Computer gegeneinander. Sind Elektronenhirne die Großmeister von morgen? Vielleicht werden sie dereinst besser, gewiß aber gelasse­ner spielen können als die Kontrahenten in Island. Dort ging es bei den letzten Par­tien noch grotesker zu als in den Wochen vorher.
• Erich von Dänikens neuer Bestseller: Zum drittenmal belehrt der Schweizer Hotelier die wissenschaftsgläu­bige Welt über Besucher aus dem Weltraum (Startauflage: 150000 Exemplare). Diesmal hat Däniken die angeblichen Zufluchtstätten der Außerirdischen aufgespürt: jahrtausendealte Tunnelsysteme unter dem südamerikanischen Kontinent, wo er in einem Riesensaal Tiere aus pu­rem Gold und Tausende beschrifteter Metallfolien gesehen haben will.
• Neuer Boom in Sicht: Der neue Wirtschafts- und Finanzminister Helmut Schmidt konnte seine Amtszeit mit einer überraschenden Eröffnungsbilanz beginnen: Produktivität und Gewinn steigen schneller, als noch am Jahresanfang erwartet. Bis zum Wahltermin, so prophezeien die Konjunkturforscher, wird sich der Aufschwung sogar noch beschleunigen. Jedoch eines wird den Bonner Globalsteurern nicht geilngen - die Preise zu bremsen. Freilich auch die CDU/CSU hätte im Falle eines Wahlsieges keine Chance, die Teuerung nachhaltig zu stoppen.
• Flick- Testament schockt die Haupterben: Noch nach seinem Tode schockte Konzerngründer Friedrich Flick seine Sippe. Bei Testamentseröffnung hörten die Anwälte von Flick-Sohn Friedrich Karl verblüfft, daß der Senior den vom Sohn gefeuerten Jung­ Manager Eberhard von Brauchitsch in die Konzernspitze zurück­ beordern will, und ließen die Verlesung stoppen. Aber auch aus dem un­verlesenen Teil des Testaments erwartet man Unbill für Friedrich Karl.
• Import der englischen Krankheit?: Victor Feather, Chef des britischen Gewerkschaftsbundes TUC, sähe es gern, wenn sich nach Englands EWG-Beitritt britische Streiklust auf die kontinentalen Kollegen überträgt. In einem SPIEGEL­Gespräch bezeichnet Feather einige seiner Kollegen vom Festland als "zahm". Arbeitsfrieden möchte er freilich eher für England garantieren als für Frankreich oder Italien.

Seitenanzahl: 138 Seiten

Sprache: Deutsch

Gewicht: 232 Gramm